Der renommierte Profiler Axel Petermann, der den Fall auf Wunsch der Familie Toth 2016 über zwei Jahre hinweg untersuchte, gelangte zu überraschend neuen, Benedikt Toth entlastenden Resultaten. Seine präzisen Ermittlungen stellen einen anderen Tathergang dar, als vom Gericht angenommen. Anhand Petermanns profunden und neuen Erkenntnissen haben RA Peter Witting und RA Dr. Gerhard Strate einen Wiederaufnahmeantrag gestellt. Dieser wurde jedoch abgelehnt.
In den vorliegenden Auszügen meiner Stellungnahme erfolgt die kriminalistische und fallanalytische Bewertung des gegen Benedikt Toth im Urteil des Landgerichts München 1, Aktenzeichen: 1 Ks 128 Js 10979/06, erhobenen Schuldvorwurf des Mordes bei besonderer Schwere der Schuld.
Nach Auffassung des Gerichts – und gestützt durch Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin München zur Todeszeitbestimmung - soll Benedikt Toth am Abend des 15. Mai 2006 in der Zeit von 18:15 bis 19:00 Uhr im Treppenhaus der Parkgarage Baaderstraße 6, München, gewartet haben, um seine Tante Charlotte Böhringer beim Verlassen ihrer Wohnung sofort anzugreifen und mit Schlägen auf den Kopf zu töten. Nach zahlreichen Schlägen sei sie im Flur zu Fall gekommen und neben einem goldfarbenen Tischchen gestorben. Nach letzten Schlägen auf die Sterbende, so das Gericht weiter, sei Benedikt Toth in die obere Etage der Wohnung geeilt, um im Büro nach dem von seiner Tante verfassten Testament zu suchen. Er habe sich vergewissern wollen, dass er, trotz vorausgegangener Streitigkeiten weiterhin im Letzten Willen seiner Tante bedacht gewesen sei. Vor seiner Flucht soll er noch vier 500-Euro-Scheine eingesteckt und das Büro hastig durchsucht haben, ehe er mit dem Fahrrad zurück in seine Wohnung zurückgekehrt sei, wo er gegen 19.34 Uhr ein Telefonat geführt habe.
Um seine Identität zu verbergen, soll Benedikt Toth bei der Tat zeitweise Handschuhe getragen haben, die er nach dem Mord zum Lesen des Testaments allerdings ausgezogen habe. So sei es zu einem ungewollten Transfer von DNA-Spuren und Fingerabdrücken auf das Testament und an verschiedenen Papieren gekommen, die zweifelsfrei Benedikt Toth als Spurenverursacher und somit als Mörder identifizierten.
Die Annahme des Gerichts, Benedikt Toth habe seine Tante Charlotte Böhringer unvermittelt angegriffen und heimtückisch getötet, wurde mit dem Auffinden von am Tatort gesicherten Abdrücken von Handschuhspuren begründet: u.a. an der Wohnungstür neben dem Türspion, an Charlotte Böhringers Blazer, an einem goldfarbenen Tisch im Flur neben der erschlagenen Toten sowie im Büro an einer auf dem Schreibtisch abgelegten Pappschachtel.
Als besonders belastend sah das Gericht den Nachweis von Benedikt Toths DNA-Merkmalen am blutbesudelten Blazer des Opfers an. Diese Spur, so die Argumentation der Richter, könne nur bei der Tötung von Charlotte Böhringer durch Kontakt mit dem Handschuh des Täters auf das Textil übertragen worden sein. Andere Erklärungen, wie zum Beispiel beim Auffinden der Toten und dem Prüfen möglicher Vitalzeichen, schloss das Gericht aus.
Die Gewissheit, dass der Angriff auf Charlotte Böhringer direkt an der Wohnungstür erfolgte, ergab sich für das Gericht aufgrund des vorhandenen Blutspurenverteilungsbildes am Tatort, das von Mitarbeitern des Instituts für Rechtsmedizin München erstellt worden war.
Im Rahmen der Validierung der im Urteil aufgestellten Thesen und Überzeugungen setzte ich mich ausführlich mit den am Tatort vorhandenen Sachspuren auseinander und ließ die bisherigen Ergebnisse durch anerkannte forensische Sachverständige überprüfen.
Im Einzelnen handelte es sich u.a. um die Bewertung der
Handschuhspuren
Nach Einschätzung eines Sachverständigen des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) für Formspuren, fanden sich am Tatort (z. B. Wohnungstür, Blazer des Opfers, goldenes Tischchen neben der Leiche, Pappkarton im Büro) verschiedene Handschuhspuren bei denen „nicht ausgeschlossen" werden konnte, dass „alle Spuren durch ein und denselben Handschuh verursacht" wurden.
Da sich bereits bei genauer visueller Spurenbetrachtung deutliche Unterschiede in den Formen und Größenverhältnissen der vermeintlichen Handschuhspuren erkennen ließen, wurden von mir bei mehreren Sachverständigen Privatgutachten zu der Fragestellung eingeholt, ob es sich bei den als Handschuhspuren bezeichneten Abdrücken auch tatsächlich um solche handelt oder, ob es für die Entstehung dieser Kontaktspuren nicht auch andere Erklärungen gebe.
Tatsächlich zeigte sich, dass die auf das Gutachten des Sachverständigen des BLKA basierenden Überzeugungen des Gerichts nicht zutreffen: Bei dem Abdruck an der Wohnungstür handelte es sich um eine daktyloskopische Spur (Fingerabdruck) und nicht um die Kontaktspur eines Handschuhs. Ein gravierender Unterschied, da das Gericht aufgrund von vermeintlich getragenen Handschuhen zum Tatbeginn von einer geplanten und heimtückischen Tat ausgegangen war.
Auch die weiteren Untersuchungen der angeblichen Handschuhspuren durch renommierte Sachverständige führte zu anderen Expertisen. Danach handelt es sich bei den vermeintlich blutigen Handschuhspuren an Charlotte Böhringers Blazer lediglich um blutige Verwischungen, bei denen die Gewebestruktur des Textils hervorgehoben wurde und an die Noppen eines Haushaltshandschuhs erinnerte. Doch damit nicht genug: Die blutige Kontaktspur auf dem goldfarbenen Tisch im Flur wurde vermutlich während der Tat durch ein blutiges Textil verursacht und ließ sich aufgrund ihrer geringen Größe von nur wenigen Zentimetern keinem Gegenstand konkret zuzuordnen. Ähnlich verhielt es sich bei der Interpretation des Handschuhfragments auf der Pappschachtel, dem keine Tatrelevanz zukommen dürfte und bei früherer Gelegenheit entstanden war.
Der Widerspruch zu den Feststellungen des Kriminaltechnikers dürfte mit seiner offensichtlichen fehlenden Qualifikation bei der Bewertung von Handschuhspuren zu erklären sein. Eine Feststellung, die verwundert, doch bis zum Jahre 2012 erhielten laut eines Fachartikels über die Untersuchung von Handschuhspuren (Die Kriminalpolizei, GdP) Experten für Formspuren nie eine Ausbildung zur Analyse und Bewertung Handschuhspuren.
Transfer der DNA-Merkmale von Benedikt Toth auf Blazer C. Böhringer
Die Interpretation der Fundsituation von Charlotte Böhringer zeigte, dass das Gericht auch bei der Bewertung der Herkunft einer DNA-Spur mit den Merkmalen von Benedikt Toth auf dem Blazer des Opfers von falschen Voraussetzungen ausging und die Situation des Pulsmessens falsch bewertete. Richtig ist vielmehr, dass, nachdem Benedikt Toth und ein Mitarbeiter die Tote gefunden hatten, er sich beim Prüfen der Vitalzeichen am Handgelenk des Opfers, sich über den Körper seiner Tante beugen musste. Zwangsläufig „passierte“ er dabei mit der Hand den mit seiner DNA kontaminierten Bereich des Blazers seiner Tante.
Diese Feststellung wird durch ein bei einem DNA-Sachverständigen des Instituts für forensische Genetik in Münster eingeholten Fachgutachten untermauert, in dem es heißt, dass es sowohl beim Auffinden der Leiche zu einem Transfer von Benedikt Toths DNA auf den Blazer der Toten durch herabfallende Epithelzellen (Hautschüppchen) oder Sprühspeichel (beim Atmen und Sprechen) bzw. durch seine Kontakte mit dem Opfer vor der Tat gekommen sein dürfte.
Todeszeitbestimmung:
Einleitend lässt sich zu diesem Themenkomplex feststellen, dass die vom Gericht herangezogenen Expertisen zur Todeszeitbestimmung ungeeignet waren, um die Tatzeit bzw. den Zeitpunkt des Todeseintritts von Charlotte Böhringer festzulegen. Neben verschiedenen Überprüfungen der frühen Todeszeichen ist die Berechnung des Todeszeiteintritts nach Henßge durch die Abkühlung der rektal gemessenen Körperkerntemperatur im Verhältnis zur Umgebungstemperatur internationaler Standard und gehört zum Einmaleins der forensischen Leichenschau.
Todeszeitbestimmung nach Henßge:
Die für dieses Verfahren notwendigen Temperaturen der rektal gemessenen Körperkerntemperatur der Toten sowie der Umgebungstemperatur am Tatort wurden erst verspätet – wenn überhaupt - erhoben. Als die während der Obduktion, und nicht am Tatort, ermittelten Temperaturwerte zur Bestimmung von Charlottes Böhringers Todeszeit für die Rechtsmediziner offensichtlich keinen Sinn ergaben, wurde zum Ende der Obduktion die Temperaturmessung wiederholt, jedoch dieses Mal im „tiefen Oberschenkels" der Toten. Wider besseres Wissen wurde die so ermittelte Temperatur als Körperkerntemperatur bezeichnet und die die Bestimmung des Todeszeitpunktes herangezogen, obwohl es dafür keine wissenschaftlich fundierten Erfahrungen gibt.
Todeszeitbestimmung aufgrund der Magenverweildauer
Auch dieser Ansatz der Todeszeitbestimmung ist von gravierenden Fehlern durchzogen. Neben der falschen Bestimmung der Portionsgröße des von Charlotte Böhringer an ihrem Todestag gegessenen Nudelgerichts, wird die zunächst von den Sachverständigen des IfR München abgegebene Todeszeitbestimmung „gegen 17.00" ohne Angaben von Gründen nach einer Anfrage der Staatsanwaltschaft dahingehend korrigiert, dass der Todeseintritt mit der Zeit von 18:15 bis 19:00 Uhr „gut vereinbar" sei.
Zur Erinnerung: Zu diesem Zeitpunkt verfügt Benedikt Toth über kein Alibi.
Die Sachverständige Dr. K. B.-B. zeigt in ihrer wissenschaftlichen Stellungnahme zur Bedeutung der Todeszeitbestimmung mit dem Mageninhalt auf, dass die von den Münchner Gutachtern verwendete Methode aufgrund diverser schwerwiegender Fehler keine Relevanz besitzt und das zudem, Aussagen über einen Todeseintritt für einen Zeitraum unterhalb von 90 Minuten nicht zulässig sind.
Tatrekonstruktion anhand Blutspurenverteilungsanalyse
Wie bereits angeführt, geht das Gericht in seiner Entscheidung davon aus, dass Benedikt Toth seine Tante Charlotte Böhringer bei Verlassen der Wohnung an der Tür angegriffen und in den Flur gedrängt habe. Diese Annahme begründete das Gericht mit den Erklärungen der Sachverständigen des Institut für Rechtsmedizin München zum Blutspurenbild am Tatort. Auch diese Feststellungen sind durch die eingeholten Gutachten diverser renommierter forensischer Sachverständigen sowie eigener Feststellungen widerlegt. Der erste Angriff auf das Opfer fand aufgrund der am Tatort vorhandenen Blutspurenbilder in einer Entfernung von ca. 220 cm von der Wohnungstür statt.
Dauer der Tat
Das Gericht vertritt im Urteil die Auffassung, dass es sich bei der Tat um ein wenige Minuten währendes Geschehen handelte. Wörtlich heißt es hierzu: ,,5 - 7 Minuten sind dafür allemal ausreichend." (Urteil, Seite 101)
Auch dieser Ansatz erweist sich als falsch. In einer von Prof. Dr. L. durchgeführten Studie zum Bluttrocknungsverhalten zeigte sich, dass die am Tatort vorgefundenen sekundär veränderten Blutspuren aufgrund ihrer vorhandenen Trocknungsringe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst nach einem Zeitraum von mindestens 15 Minuten mechanisch, vermutlich durch Schuhe, verändert wurden.
Dieses Untersuchungsergebnis wird von einem zweiten Sachverständigen bei einer ebenfalls sekundär veränderten Blutspur neben der Leiche bestätigt, wobei er von einer Trocknungszeit von 15 bis 30 Minuten ausgeht, ehe es zu der Verwischung der Spur kam.
Bei Berücksichtigung dieser Zeitvorgaben muss Benedikt Toth als Täter ausgeschlossen werden, da er sich bis zu 30 Minuten am Tatort hätte aufhalten müssen und unter diesen Umständen nie um 19:34 Uhr den Anruf mit der Mutter seiner Verlobten hätte führen können.
Fremdkörper in der Kopfwunde von Charlotte Böhringer
Einem weiteren Gutachten des BLKA war zu entnehmen, dass sich in einer Kopfwunde von Charlotte Böhringer Fremdkörper befanden. Hierbei handelte es sich um Rückstände eines schwarzen „Werkzeuglacks" sowie um mikroskopisch kleine in Kohlenstoff eingelagerte Eisenkügelchen, wie sie sich beim Schweißen, also dem Verbinden von Metallen, bilden. Das Vorhandensein dieser Fremdkörper in der Kopfwunde wurde im Urteil nicht thematisiert. Auch wenn das Tatwerkzeug nicht näher konkretisiert werden kann, so weist der Umstand daraufhin, dass es sich bei der verwendeten Tatwaffe um ein bereits benutztes Werkzeug handelte, das vor der Tat bei Schweißarbeiten eingesetzt worden war.
Im diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zur Tatzeit die Heizung in der Parkgarage saniert, d.h., die alte Anlage gegen eine neue ersetzt wurde und bei den Instandsetzungen auch Schweißarbeiten durchgeführt wurden.
Vor diesem Hintergrund könnte ein Vorfall vom Nachmittag des 15.05.2006 von Bedeutung sein. Da hatte ein Heizungsmonteur auf Bitten von Charlotte Böhringer ihre Wohnung zur Regulierung der Wassertemperatur der Fußbodenheizung aufgesucht. Diese Überprüfung, so die Aussage des Mannes vor der Polizei, will er vor 14.30 Uhr beendet haben, um dann anschließend im Heizungsraum im Keller des Parkhauses einen defekten Boiler zu reparieren. Nach zirka anderthalb Stunden will er die Arbeit beendet haben, um noch einen weiteren Kunden aufzusuchen.
Überprüfungen der Aussage zeigten, dass die Einlassungen des Handwerkers falsch sind, da Charlotte Böhringer am 15.05.2006 in der Zeit von ca. 13:45 bis 15:00 Uhr gemeinsam mit der Zeugin M. S. im Lokal Lago di Garda zu Mittag aß und der entsprechende Anruf bei der Wartungsfirma erst in der Zeit von 15:24 bis 15:27 Uhr erfolgte.
Bei Wahrunterstellung des vom Monteur angegebenen Zeitraumes von etwa anderthalb Stunden in der Parkgarage bedeuten diese Feststellungen, dass der Handwerker sich vermutlich bis 17:45/18:00 am Tatort aufgehalten haben dürfte. Etwa um diese Zeit sind letzte telefonische Lebenszeichen von Charlotte Böhringer nachweisbar.
Die Überprüfung des Alibis des Heizungsmonteurs durch die Mordkommission unterblieb jedoch.
Bewertung der zur Verurteilung vom Gericht herangezogenen Gutachten:
Die Validierung der vom Gericht herangezogenen Gutachten zeigt, dass diese einer wissenschaftlich fundierten Überprüfung nicht standhalten können und somit zu falschen Ergebnissen zum Nachteil von Benedikt Toth führen.
Zu keinem Zeitpunkt ergibt sich ein Hinweis darauf, dass das erkennende Gericht im Urteil zu seinen Gunsten entschied und der Maxime „in dubio pro reo" folgte.
Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die frühe Festlegung der Ermittlungsbehörden auf Benedikt Toth als Täter mit einer beispiellosen Ignoranz von Tatsachen bestätigt werden sollte. Besonders auffällig erscheint zudem das willfährig anmutende Verhalten verschiedener Gutachter vor Gericht, die die bereits nach wenigen Stunden nach der Tatentdeckung postulierte Überzeugung der Ermittler und Staatsanwaltschaft, Benedikt Toth sei für die Tat verantwortlich, mit ihren (falschen) Expertisen bestätigten und zu dessen Verurteilung maßgeblich beitrugen. Unter diesem Aspekt verwundert es nicht weiter, dass keine weitergehenden Recherchen zu anderen Tatverdächtigen getroffen wurden, entgegen allem kriminalistischen Verständnis.
Axel Petermann
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"Die Ermittler haben Fehler gemacht. Somit beruht das Urteil aus meiner Sicht auf falschen Grundannahmen. Die sogenannten Beweise gegen Benedikt Toth halte ich nicht für stichhaltig. Er hätte auf dieser Grundlage nicht verurteilt werden dürfen."